Das GRASSI Museum für Angewandte Kunst in Leipzig verfügt über eine bedeutende und umfangreiche Glassammlung von ca. 3.000 Positionen, die die Entwicklung der Glasverarbeitung von der Antike bis zur Gegenwart veranschaulicht. Ein Großteil der Glasarbeiten kann dabei in den drei Abschnitten der Ständigen Ausstellung betrachtet werden – „Antike bis Historismus“, „Asiatische Kunst“ und „Jugendstil bis Gegenwart“ (Eröffnung voraussichtlich Ende 2011).
Charakteristisch für Glasarbeiten des Spätmittelalters ist das sogenannte Waldglas, darunter Nuppengläser und Krautstrünke, die in dieser Zeit vielfach verwendet wurden. Dabei ist besonders ein um 1500 zu datierender Krautstrunk zu erwähnen, der, fast vollständig von einem dicken Wachsmantel eingeschlossen, als Sepulcrum diente. Im Bereich der Renaissance wird eine kleine, aber herausragende Sammlung venezianischer Gläser präsentiert, bei der erkennbar wird, dass in Murano um 1500 die raffiniertesten Veredelungstechniken für Glasarbeiten entwickelt wurden. Im Abschnitt „Renaissance nördlich der Alpen“ wird ein aufwändig mit Email bemalter Humpen des Magdeburger Domkapitels gezeigt. Das 17. und 18. Jahrhundert ist durch Scherzgläser, email- und goldbemalte Gläser, Zwischengoldgläser und geschliffene bzw. geschnittene Gläser zahlreich vertreten. Dabei bilden prunkvolle Pokale aus Dresden und emailbemalte Gläser für die verschiedenen Kellereien des kursächsischen Hofes einen weiteren Schwerpunkt. Das 19. Jahrhundert ist durch Lithyalin- und Hyalithgläser, Rubingläser und transparentbemalte Veduten-Gläser von Samuel Mohn und Anton Kothgasser vertreten. Prunkvolle Gläser des Historismus – beispielsweise von den Manufakturen Salviati in Venedig (Murano) und Lobmeyr in Wien – beenden den ersten Teil der Ständigen Ausstellung.
Des Weiteren besitzt das Museum eine bedeutende Anzahl von Flachglasarbeiten. Dabei sind zwei um 1505/1520 zu datierende Fenster aus dem Altenberger Kreuzgangzyklus mit Darstellungen aus der Kindheit des hl. Bernhard von Clairvaux besonders bemerkenswert. Zahlreiche aufwändig bemalte Wappenscheiben stammen aus dem 17. Jahrhundert.
Die Sammlung von Gläsern Bruno Mauders, Richard Süßmuths und Wilhelm Wagenfelds bezeugt die heranwachsende Bedeutung der Zusammenarbeit von Künstlern mit der Glasindustrie seit den 1920er Jahren. Zweifellos steht Wilhelm Wagenfeld beispielhaft für die Einheit von Kunst und Technik, die Walter Gropius 1923 forderte. Ab 1931 überarbeitete Wagenfeld für das Jenaer Glaswerk Schott & Gen. Werksentwürfe und gab der „Sintrax-Kaffeemaschine“, den „Durax-Gläsern“ und der „Wagenfeld-Teekanne“ unter Berücksichtigung ästhetischer und funktionaler Aspekte eine unverwechselbare Formgestaltung. Nachdem Wagenfeld die Typenentwicklung in Jena vorangetrieben hatte, begann er ab 1935 für die Vereinigten Lausitzer Glaswerke AG (VLG) Glaskollektionen zu entwerfen, die unter der „Rautenmarke“ firmierten. Bereits das erste Kelchglasservice „Oberweimar“ dokumentiert die schlichte Eleganz und Zeitlosigkeit der filigranen Gläser. Es folgten weitere formschöne Service, wie „Lobenstein“ und „Hochstadt“ sowie Vasen mit eigenwilligen Formen, die trotz serieller Herstellung formal und handwerklich höchste Qualität beanspruchten. Als idealer Ausstellungsort für das Rautenglas-Sortiment erwies sich die als „Treffpunkt der Moderne“ bekannt gewordene Grassimesse, auf der seit 1920 herausragendes zeitgenössisches Kunsthandwerk im Museum dargeboten wird. Möbel der Innenarchitektin Lilly Reich aus Chrom und Glas bildeten 1936 eine einzigartige Präsentationsfläche für die Zier- und Gebrauchsgläser der VLG.
Das GRASSI Museum konnte eine Vielzahl der Glaskollektionen und Einzelgläser unter Mithilfe von Sammlern zusammentragen. Eine Rekonstruktion des Messestandes Lilly Reichs wird in der zukünftigen Ständigen Ausstellung „Jugendstil bis Gegenwart“ verdeutlichen, wie sich künstlerischer Entwurf und serielle Produktion gegenseitig befruchteten und die Kooperation Wagenfelds mit der VLG als wegweisend für die Geschichte der Glasindustrie gilt.
Der Schwerpunkt der Glassammlung nach 1945 liegt mit über 800 Objekten im Studioglas erstrangiger nationaler und internationaler Künstler. Herausragende ostdeutsche Glaskünstler wie Albin Schädel, Otto Schindhelm und Walter Bäz-Dölle stehen beispielhaft für lampengeblasene Gefäße und Objekte. Des Weiteren sind auch Gläser nach Entwürfen der Formgestalter Ilse Decho und Horst Michel vertreten. Ilse Scharge-Nebel zeichnet sich besonders durch ihre massiven, klaren Schalen und Vasen aus. Für die Leipziger Thomas und Ulrike Oelzner sind skulpturale, für die Familie Precht aus Lauscha dagegen malerische Komponenten charakteristisch.
Die bisher vorrangig auf DDR-Künstler beschränkte Studioglas-Sammlung wurde durch eine Schenkung des Sammlers Josef Boeven im Jahr 2009 um zahlreiche Stücke westdeutscher und internationaler Glaskünstler erweitert. Jörg Zimmermann aus Stuttgart bläst das Glas durch ein Gitter und schafft außergewöhnliche Wabenobjekte. Klaus Moje kreiert Schalen in Fusingtechnik. Jack Ink versieht seine Vasen mit Landschaftsmalereien, Javier Gómez arbeitet ganz und gar skulptural, Ioan Nemtoi gestaltet Vasen mit expressiven Bemalungen, Concetta Mason orientiert sich an der knalligen Pop-Art und Kyohei Fujita an der Kunst seiner japanischen Heimat.