Die Glassammlung
Der Glasbestand des Angermuseums umfasst über 870 Objekte aus acht Jahrhunderten. Die ältesten Exponate – Bleiglasfenster – entstanden im Mittelalter und werden im Erdgeschoss des Angermuseums präsentiert. Zu den bedeutendsten Werken zählen die aus der Barfüßerkirche stammenden Fragmente aus dem Tod des Franziskus (um 1250) sowie eine Scheibe mit dem Ritt der Heiligen Drei Könige (nach 1350) aus der Marienkirche in Salzwedel.
In der kunsthandwerklichen Schausammlung im ersten Obergeschoss gehören Gebrauchsgläser aus sog. Waldglas zu den frühesten Werken (15.–16. Jh.). Sie erscheinen in unterschiedlich grünen Schattierungen und wurden mit einfachem plastischen Dekor wie Nuppen und Rippen versehen. Unter den Gläsern der Renaissance treten die Scherz- und Trinkgefäße in teils phantastischen Formen und mit optischem Dekor hervor (16.–17. Jh.).
Die aus der gleichen Epoche stammenden Gläser mit Emailmalerei entstanden in unterschiedlichsten Zusammenhängen: z. B. als Trinkgefäß einer Handwerkerinnung, als humorvolle Ausdrucksform mit derb-zotiger, bunter und laut rufender Darstellung oder – ganz gegensätzlich – mit monochrom weißer, pietätvoller und christlicher Motivik auf edelsteinfarbenem Amethystglas; Emailmalereien auf Glas konnten überdies eine politische Gesinnung zum Ausdruck bringen – wie der vermutlich weltweit zweitälteste Reichsaderhumpen aus der Zeit um 1590 –, oder bezogen konfessionelle Stellung in der Zeit nach der Kirchenspaltung.
Schraubflaschen mit Erfurter Silbermontierung weisen häufig einen stehenden und stilisierten Blumendekor auf den Seiten oder Pässen auf (17. Jh.). Sie wurden zur Aufbewahrung von Kräutern verwendet.
Passgläser (16.–18. Jh.) mit aufgeschmolzener oder goldgemalter Einteilung dienten fröhlichen Trinkspielen und wurden ebenso in Thüringen gefertigt wie eine Reihe von ausgestellten Fadengläsern (18.-19. Jh.), die sich an venezianischen Vorbildern orientieren. Einige monochrome oder polychrome Farbgläser, z.B. ein Achatglas in Becherform aus Venedig, wirken noch heute erstaunlich modern, auch wenn ihre Entstehung rund 300 Jahre zurückliegt.
Unter den höfisch geprägten Hervorbringungen des 18. Jahrhunderts, darunter diverse Pokalformen mit reichen Glasschnitten, sind neben Thüringer Gläsern Beispiele aus Böhmen, Schlesien, Brandenburg und Potsdam, Sachsen, Schlesien u. s. w. zu sehen. Sog. Silberglas, Gläser mit Zwischengold oder geätzten Dekorationen (18.-19. Jh.) sowie montierte Gläser (17. und 19. Jh.) runden das Bild der historischen Glaspräsentation ab.
Am Übergang zur Moderne finden sich teils singuläre Beispiele bedeutender Glaskünstler oder Glashütten des späten 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts wie Emile Gallé und Andé Delatte aus Nancy mit geätzten und geschliffenen Überfanggläsern, Phänomenglas der Firma Johann Lötz Witwe aus Klostermühle in Südböhmen oder zwei Beispiele von metallisch irisierendem bzw. lüstriertem Glas von Louis Comfort Tiffany aus New York.
Von dem aus Nancy in Lothringen stammenden Emile Gallé, der für seine Kenntnisse in den unterschiedlichsten Disziplinen bekannt ist und sich in seiner Jugend für eine kurze Zeit in Thüringen aufhielt, ist neben einer kleinen Jugendstilvase – durch Werke wie dieser wurde er berühmt – auch eine signierte Karaffe mit Email- und Muffelfarbenmalerei aus der Zeit des Historismus ausgestellt. Von seiner Hand stammen ferner eine Fayence-Katze mit Glasaugen sowie ein einzigartiges, historistisches Kaminensemble aus Fayence, bestehend aus einer Pendule (Uhr) und einem Paar Girandolen (mehrarmigen Leuchtern) mit steigenden Löwen.
Vom umfangreichen Glasbestand des 20. Jahrhunderts befindet sich ein kleiner Teil in der ständigen Ausstellung: Zu sehen sind Werke von Walter Bäz-Dölle, Albrecht Greiner-Mai, Volkhard Precht und Ulrich Precht aus Lauscha, Hartmut Bechmann aus Ernstthal, Ulrike und Thomas Oelzner aus Leipzig und nicht zuletzt vom international renommierten Thüringer Glaskünstler Albin Schaedel aus Neuhaus am Rennsteig, der ab 1954 in Arnstadt arbeitete; vom ihm befinden sich insgesamt 110 Objekte im Bestand.
Wie ein roter Faden zieht sich durch alle Bereiche der kunsthandwerklichen Präsentation die Gegenüberstellung von Alt und Neu. Beispielsweise sind einem Waldglas aus dem 16. Jahrhundert zwei vergleichbare Stangengläser mit Nuppen gegenübergestellt, die auf Entwürfe des Hallenser Glaskünstlers Otto Scharge beruhen und 1955 in Neuhaus am Rennstein entstanden.
Mit 122 Gläsern sind etwa ein Achtel des Glasbestandes in der ständigen Ausstellung zu sehen.
*) Bis ins frühe 20. Jahrhundert gehörte Coburg zu Thüringen. Mit den harten „Hosenbenter“ in der Inschrift ist das durch häufige Schläge bei Bestrafungen abgehärtete Gesäß gemeint.
Eine Zote ist ein unanständiger Witz oder eine Erzählung mit sexueller Anspielung. Die Darstellung von Mann und Frau auf der Vorderseite, wird auf der Rückseite von drei Zechern begleitet: der eine sein Glas einschenkend, der andere trinkend, der dritte bezahlend. Offenbar macht der Mann auf der Vorderseite einen von ihnen zum „Hahnrei“, verbildlicht durch den in seiner rechten Hand hinter der Frau gehaltenen Hahn, während er ihr in den Schoß greift. Der Begriff „Hahnrei“ bezeichnet einen Mann, dessen Gattin Ehebruch begeht. Das Sprichwort: „jemanden zum Hahnrei machen“ beschreibt denselben Umstand.
Fotos: Sandra Meinung (1, 2), Kathrin Rahfoth (3), Dirk Urban C4-19)
Externe Exponate
Von sechszehn Wappenscheiben des frühen 17. Jahrhundert aus dem alten Erfurter Rathaus sind neun als Leihgaben des Angermuseums im Erfurter Stadtmuseum „Haus zum Stockfisch“ (Johannesstraße 169) ausgestellt. Die farbigen Bleiglasscheiben führen überwiegend die Wappen von Erfurter Ratsherren vor Augen.